1969. Ein Rennen für die Technik und gegen die Zeit.
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Wenn Zeit etwas Wertvolles ist – und da wird vermutlich niemand widersprechen – dann kann eine alte Uhr nur wertvoller sein als eine neue.

 

 

Deshalb geht es in diesem Beitrag um mechanische Uhren aus dem Ende der sechziger Jahre. Und 1969 war ohne Zweifel ein besonderes Jahr. Die Mondlandung, der erste Schritt auf einem fremden Planeten, der Erstflug der Concorde, Woodstock. 1969 wurde die erste Nachricht von Rechner zu Rechner verschickt, das Internet war geboren. Ein verrücktes Jahr.

Über Automobile gibt es 1969 ebenfalls viel zu berichten. Der Star des Jahres bei den deutschen Neuerscheinungen war zweifelsohne der Mercedes-Benz C111. Der reinrassige Sportwagen mit Flügeltüren und Wankelmotor bot zukunftsweisende Technik und dazu eine spektakuläre, ja geradezu betörende Form.

 

1969 hatte aber auch in der Welt der mechanischen Zeitmesser etwas zu bieten. Uhren mit Stoppfunktion gehören zur Autowelt wie Reifen oder Kraftstoff und die Leistungsangaben für Beschleunigung und Rundenzeiten basierten schon immer auf Zeitmessungen. Jemand hat mal behauptet, das erste Autorennen der Welt habe genau da stattgefunden, als zum ersten Mal zwei Autos aufeinander trafen. Vermutlich war damals schon eine Stoppuhr dabei.

Heute wird der Rennsport wie selbstverständlich mit Uhrenmarken in Verbindung gebracht. 1969 hat jedoch ein ganz spezielles Rennen stattgefunden. Ein zunächst diskretes Rennen, in dem es um nichts weniger als die Zukunft mechanischer Armbanduhren ging.


Um die Voraussetzungen für dieses Rennen zu verinnerlichen, genügt ein kurzer Rückblick in die Mitte der sechziger Jahre. Es war eine Zeit der Aufbruchstimmung, das Raketenzeitalter befand sich in voller Blüte. Geschwindigkeitsrekorde auf dem Wasser, in der Luft und auf den Rennstrecken der Welt wurden in immer kürzeren Abständen aufgestellt. Die Menschen träumten von einer Reise zu fremden Planeten und Überschallflügen zu anderen Kontinenten. Ganz ähnlich wie heute mit den Smart-Watches gab es seinerzeit ein immer breiter werdendes Angebot an leistungsfähigen Quarzuhren. Bezahlbar, hocheffizient und vollkommen wartungsfrei. Diese Quarzuhren boten mit einer fast lächerlichen Selbstverständlichkeit einst anspruchsvolle Komplikationen wie die Stoppfunktion mechanischer Chronographen.

 


Rennfahrer, Piloten und Wissenschaftler plagten sich damals im Grunde noch mit Vorkriegs-Handaufzugtechnik herum.


 

Der Verkauf von mechanischen Armbanduhren brach ein, denn alle Hersteller hatten das gleiche Problem: Sie mussten von ihren Kunden verlangen, dass sie in ziemlicher Regelmäßigkeit, etwa alle ein bis zwei Tage, ihre Uhren von Hand aufzogen. Taten sie dies nicht rechtzeitig, also außerhalb der Gangreserve, mussten die Uhren jedes Mal neu gestellt werden. Das fühlte sich auch damals schon ziemlich antiquiert an. Rennfahrer, Piloten und Wissenschaftler plagten sich also damals im Grunde noch mit Vorkriegs-Handaufzugtechnik herum. Dem mechanischen Chronographen fehlte in der Entwicklung der letzte Evolutionsschritt: ein automatischer Aufzug. Eine Lösung musste her.


Die Konkurrenten Breitling und Heuer gründeten mit weiteren Partnern aus der Schweiz und England bereits im Jahre 1966 ein geheimes Komitee. Die Mitglieder gelangten erwartungsgemäß zu der Überzeugung, dass ein Chronograph mit der stark in Mode gekommenen Automatik für den Aufzug die adäquate Antwort auf die Krise sein musste. Ein Uhrwerk, das sich selbst durch die Bewegungen im Handgelenk aufzog, somit theoretisch unendlich lange lief und weitere Komplikationen genannte Funktionen wie eine Stoppuhr und Datumsanzeige bot. Auch die Macher von Zenith in der Schweiz und Seiko in Japan waren zu der gleichen Erkenntnis gelangt, ohne dass die Teilnehmer voneinander wussten. Das Rennen um eine technische Lösung begann.

Zwei Ziele standen ganz vorne in der Startaufstellung. Die technische Lösung und die Geheimhaltung beim Versuch, eben diese Lösung zu finden, um der erste zu sein. 1968 bekam das Rennen eine ganz neue Dramatik, denn die Geheimhaltung kam an ihre Grenzen und darüber hinaus. Die Manufakturen erfuhren voneinander und lieferten sich ein ebenso erbittertes wie enges Rennen. Gegen die Zeit. Alle Teilnehmer erreichten das Ziel im Jahr 1969. Heuer, Breitling, Zenith und Seiko lancierten die weltweit ersten Automatik-Chronographen.

 

 

 

 

Und wer ging als erster über die Ziellinie? 
Im Januar 1969, fast zwei Monate vor den Mitbewerbern, präsentierte Zenith seinen El Primero für spanisch „der Erste“ zwar als erste der Fachpresse, allerdings leicht vor der Serienreife. Das Werk jedoch war in mehrerlei Hinsicht faszinierend. Das aus 280 Teilen bestehende Uhrwerk hatte beeindruckend zierliche Abmessungen und wartete mit 36.000 Halbschwingungen auf, was die Stoppgenauigkeit einer Zehntelsekunde bedeutete – und einer Sensation gleichkam.
Breitling und Heuer präsentierten ihre Entwicklung, das Kaliber 11, Anfang März 1969 gleichzeitig in Genf und New York. Für den Verkauf gingen die Partner getrennt ins Rennen. Breitling wartete mit der Chrono-Matic auf und Heuer startete mit den Modellen Autavia, Carrera und Monaco. Sie befriedigten mit einem bereits ausgereiften Uhrwerk und einer breiten Modellpalette die Wünsche der erwartungsvollen Kunden.
Seiko war als erster bei den Kunden: Bereits im Mai 1969 lieferte die japanische Manufaktur den Seiko 5 Speed Timer an den Fachhandel, der Verkauf startete schon im Juni. Die Unruh oszillierte mit 21.600 Halbschwingungen. Weitere Funktionen waren Datum und Wochentag mit Schnellkorrektur.

 


Ganz sicher trug 1970 auch Steve McQueen mit der Heuer Monaco im Rennfahrer-Epos ,,Le Mans“ zur Legendenbildung bei.

 


 

Die Marken konnten somit verschiedene Weltpremieren für sich verbuchen und legten fast gleichzeitig einen der wichtigsten Grundsteine in der Geschichte der Armband- und Automatikuhren. Das Rennen um den ersten Chronographen mit Automatik-Werk haben letztendlich also alle gewonnen, sogar die Uhrmanufakturen, die gar nicht zum Rennen angetreten waren. Denn plötzlich waren mechanische Uhren wieder angesagt.

Sicher war es nicht von Nachteil, dass Neil Armstrong äußerst medienwirksam eine Omega Speedmaster (noch als Handaufzug) im Juli 1969 als erster Mensch auf dem Mond trug, weil der Chronograph als einzige die legendär harten NASA Tests bestehen konnte. Ganz sicher trug 1970 auch Steve McQueen mit der Heuer Monaco im Rennfahrer-Epos „Le Mans“ zur Legendenbildung bei.

Mechanische Automatik-Chronographen waren seit 1969 wieder begehrenswert. Nicht nur in der Welt des Motorsports, der Fliegerei und in der Raumfahrt. Und sie sind es bis heute.

 

 

Text: Arndt Hovestadt    Design: Katrin Schießl  

 

 

 

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