666
7 Minuten

 

Haifilet

und Birne an Ölschlamm

 


Intro


 

Der Online-Fahrzeugmarkt — auch für Sammlerfahrzeuge — ist riesig und international. Die Folge sind nahezu unerschöpfliche Angebote für Fahrzeuge aller Art. Nur wie soll man dabei das richtige Angebot für sich herausfinden? Denn die Preise bewegen sich von niedrig (sehr selten) bis normal (kommt auch nicht sehr oft vor) über hoch (oft) bis zu überteuert (ziemlich oft). Die gute Nachricht ist die Auswahl: Man findet viele Klassiker in diversen Varianten und Zustandsnoten. Die schlechte Nachricht ist, dass wenige Verkäufer ihre Fahrzeuge so beschreiben, wie sie sollten oder müssten. Denn das hätte oft eine direkte Auswirkung auf die Preise. Natürlich mit der Tendenz zu einem niedrigeren, angemesseneren Wert. 
Leider ist niemand dazu angehalten, irgendwelche Regeln einzuhalten. Es gibt keinerlei Qualitätsmaßstäbe oder Einschränkungen beim Stil oder der Umsetzung von Texten und Fotos in Online-Anzeigen. Das führt zu Unstimmigkeiten. Bei Klassikern gilt das noch mehr als bei Alltagsfahrzeugen. Denn zum an sich simplen Kaufvorgang kommt die emotionale Komponente hinzu.

 

Und das merkt man oft schon am Text in der Online-Anzeige: Extrem gute Patina!!!!! bedeutet in Wirklichkeit, dass das Fahrzeug in einem eher mäßigen Zustand ist, der Verkäufer es aber unbedingt verkaufen möchte. Und zwar für einen der Menge an Ausrufezeichen entsprechenden Preis. Superlative sind angesagt. Absolut seltener Scheunenfund (bedeutet meist: Alte Karre aus der Garage gezogen und zur Entsorgung im Netz freigegeben). Einem dem Alter entsprechenden Zustand (weil ich zu faul war, steht das Teil noch nicht auf dem Schrottplatz neben den anderen). Die Laufleistung wirkt glaubwürdig (die Laufleistung wirkt nicht glaubwürdig, es sein denn man trägt eine rosarote Brille). Das ist typischer Slang von Selfmade-Schlauköpfen, die in englischsprachigen Ländern auch gerne „Tirekicker“ genannt werden. Fakt ist: Die wenigsten privat verkauften Klassiker entsprechen vom beschriebenen Zustand her den Tatsachen, wenn man sie im echten Leben besichtigt. Trotzdem werden viele angebotene Fahrzeuge ver- und gekauft. Da trifft oft die nicht selten einfältige Verschlagenheit der Verkäufer mit Wucht auf die pure Emotion der Käufer. Aber gut, jeder hat ja das Recht, Fahrzeuge nicht zu kaufen. Zum Beispiel, wenn sie der Beschreibung aus dem Netz nicht einmal im Ansatz entsprechen. Viele tun es trotzdem. Zum Beispiel ich.

 


Rückblick


 

Das World Wide Web boomt im Jahre 2005. Es ist die Hochphase für Fahrzeug-Versteigerungen im Netz. Nun möchte ich endlich meinen ersten Klassiker kaufen. Dazu trage ich eine rosarote Brille, stabiler Rahmen, sie sitzt sehr fest. Es gibt den gelben Sack, Restmüll und Auktionshäuser im Internet, sagte mir einmal ein desillusionierter Kenner mit Erfahrung. „Aber er war doch so günstig“. Ja, ich habe es getan. Denn damals, als es richtig angesagt war, Autos zu ersteigern, war das wie eine Sucht ohne jede Chance auf Selbsthilfegruppen. Ich habe auf dem weltweit größten Entsorgungsplatz im Netz einen angehenden Klassiker ergattert, ohne eine Besichtigung auch nur kurz ernsthaft in Erwägung gezogen zu haben. Selbst Schuld, sagt dazu der Profi. So etwas macht man ja auch nicht. Oder bezahlt Lehrgeld. Oder hat Glück.

 

Das Fahrzeug: Ein seinerzeit 23 Jahre alter Porsche 928. Knapp beschrieben, mit sagenhaften 117.000 Kilometern auf dem noch fast jungfräulichen Tachometer, leichten Lackmängeln und einem Gutachten über 7.500 EURO. Vor dem Gebot ansehen? Quatsch, bei dem Preis und einem Gutachten kann der ja gar nicht so schlecht sein. Auch wenn das einzige Foto im Inserat wie ein Polaroid aussieht, das vor dem Scannen jahrelang an die Kühlschranktür eines Raucherhaushaltes gepappt war. Ach was, der Teufel soll mich holen, wenn ich mir das entgehen lasse. Juhhuuuu! 23:41 Uhr, 3…2…1… meins, 1.921,43 Euro, Freudensprünge im Mondschein. 

 


Endlich! Er ist mein…


 

…der Zuffenhausener Bolide, den kein Mensch wollte. Der im Rotlicht-Kiez geparkte, von Millieudilettanten umgebaute und als Glasfaserbomber getarnte Testwagen für angewandte Geschmacksentgleisungen missbrauchte Hartgeldrenner. Der von den Unkenrufen geradezu grenzwertig Unwissender als „Hausfrauenporsche“ abqualifizierte Sportwagen. „Iiiiiiiiiih, das ist doch der, der mit dem AUDI-Motor!!“ Nein, liebe notorischen Nichtleser zertifizierter Fachliteratur. Ist er genau nicht. Er ist vielmehr der seiner Zeit um Lichtjahre vorauseilende und aus feinsten Werkstoffen gefertigte Super-Gran-Tourismo mit acht Zylindern, einem gefühlten Wassereimer voll Hubraum und dem Drehmoment von der Kraft und Resonanz einer Schubrakete. Auch wenn er für manche wie eine Frikadelle aussieht (Fleischküchle passt bei der urschwäbischen Herkunft wohl besser). Ja, und auch wenn Nörglern zufolge der Luftwiderstandsbeiwert angeblich von allen vier Seiten gleich (schlecht) ist. Dass die ehemalige Käufer-Zielgruppe praktisch so ausnahmslos wie deutlich über 60 Jahre alt war und braune Cordhosen zu tragen pflegte, widersprach ebenfalls grundlegend der hochdynamischen Selbsteinschätzung asketischer Porsche-Jockeys. Auch wenn der „Neunachtundzwanzig“ von gusseisernen Neunelfer-Fahrern (auch noch als vom Werk) angekündigte Ablöse ihres geliebten Plattkäfers zum blechgewordenen Antichrist der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre wurde. Und ganz besonders, weil dieses wirklich einzigartige Fahrzeug nie als das verstanden wurde, was es ist. Nämlich wirklich einzigartig.

 

Ach, das fragwürdige Image macht nichts. Wenn ihn eben keiner zu schätzen weiß, dann ist das nicht schlimm und drückt die Preise. Schließlich ist man mitleidige Blicke an der Ampel noch aus der VW-Santana-Zeit gewohnt, als der sandgoldene „LX“ namens „Jaqueline“ einen, fünf Liter Diesel schnüffelnd, frei von Ausstattung, aber auf weichen Velours-Polstern brav von hier nach dort transportierte.

 


Abfahrt


 

Also auf, unterwegs mit meinen zwei Kumpel Jörg und Clemens nebst Anhänger zur nur 100 Kilometer entfernten Verkaufsstelle des Objektes. Die „ich hau´ mich selbst übers Ohr“ Brille fest auf der Nase. Aufgeregt, enthusiastisch, beladen mit Träumen und ein bisschen Geld.

Treffpunkt erreicht. Er ist südlich des Ruhrgebiets, irgendwie am Ende der Welt und dann noch ein Stück rechts. Ein Garagenhof wie aus dem Taschenbuch Ratgeber „Die Top-Ten-Orte in Deutschland, an denen man keinesfalls ein Auto kaufen sollte“. Platz Eins natürlich. Sie kommen. Zwei dem vollkommen ungerechten Ruf des 928 in den 90er Jahren irgendwie präzise entsprechende, mit Knast-Tätowierungen verzierte und in Perfektion ungepflegte, dafür aber leider tüchtig muskulöse Herren. Die beiden (King und Kong?) entsteigen einem schon seinerzeit aus der Mode geratenen, matt schwarz gerollten Ford Sierra 2.0L mit dem amtlichen Kennzeichen EN-GB 666.

666 auf dem Kennzeichen? Zufall, Schnapszahl oder Söhne Satans? Luzifers Schergen? Auf jeden Fall sehen die Jungs richtig böse aus. Ist mir egal. Die Verkäufer stehen jetzt erst mal als Statisten statt Satanisten da. Der Teufel kann später noch was dazu sagen, wenn er denn zu Wort kommt. Schließlich geht es hier um einen Porsche. Jetzt erst mal zügig das Auto an die Sonne, die gerade nicht scheinen will.

 


Nun aber. Ich hab Puls.


 

Das rostige Tor bewegt sich zunächst kaum, weil es so rostig ist. Dann geht die Garage mit einem quietschenden und mahlenden Geräusch zuerst auf der linken, dann auch scheppernd auf der rechten Seite auf. Dabei klingen die alten Federn der Mechanik wie der Trommelwirbel einer wirklich schlechten Zirkusaufführung. Da ste…, nein da liegt er. Oh nein… Zerlegt, traurig, schmutzig, verbeult, desolat, verbraucht, am Ende. Meine Freunde, beide Profis aus dem Automobilhandwerk, schauen spontan für längere Zeit betreten auf den moosüberwucherten Boden des post-apokalyptischen Garagenhofes voller Graffitis. Erste Analyse: Ist der „Neunzwoacht“, einst wie heute ein Denkmal deutscher Ingenieurskunst, etwa die letzten Jahre als Shuttle-Taxi zur Höllenpforte missbraucht worden? Nein, eher als pittoreske Gartenzier und Ziel dutzender Querschläger vom Sportschützenclub Sprockhövel um die Ecke. Denn er ist grün vom Span, nicht etwa Zinn-Metallic wie auf dem speckigen Foto in der Auktion zu erahnen war. Lackmängel? Ja klar – aber welcher Lack denn genau? Es gibt gleich mehrere Sorten und unterschiedliche Aggregatzustände. Kratzer, Beulen? Nein, das sind Wunden, Zeugen aus Kämpfen mit miesen Fahrern, rivalisierenden Autos, Verkehrsschildern und Immobilien-Fragmenten. Dieses Auto hatte niemand mehr lieb. Schon lange nicht mehr.

 

Nachgestelltes Foto. Ein ähnlich schlechter 928 wie im Beitrag war bis Redaktionsschluss nicht auffindbar.

 

Die Innenausstattung? Ganz ehrlich: Es ist eine Beleidigung für jede ordentliche Kuh, was manche Menschen aus feinem Leder machen. Es ist nicht möglich, irgendetwas in diesem einst blauen Innenraum zu berühren, ohne wie ein Zombie mit einer Streptokokken-Infektion auf direktem Weg in die Notaufnahme des Wuppertaler Kreiskrankenhauses zu wanken. Natürlich nicht, ohne alle anwesenden vorher mit aggressiven Bakterienketten zu infizieren. Halt: Alle bis auf Satans Söhne, die sind wohl schon.

Mein Blick fällt auf die maximalpatinierte Automatik-Kulisse nebst legendärem, dem Schubhebel aus einem Jet nachempfundenen Wählhebel. Die Buchstaben und Zahlen, welche einst sanft im Dunkeln illuminierten sind nachgezeichnet mit knallrotem NAGELLACK! Ok, schnell den Kopf aus der verbeulten Fahrertür, erst mal die Technik checken. King sagt etwas. Ich: „Hä?“ Er:“ „Zahnriemen ist neu, musste bloß noch einbauen.“ Ich: „Ehm, hä?“ Er:“ „Zahnriemen ist neu, musste bloß noch einbauen.“ Suboptimale Kommunikation vor der unwirklichen Kulisse eines abbruchreifen Vorstadt-Hinterhofes. Ich sehe Kong an und denke: „Bitte bleib so, ich will dich genauso vergessen, wie du jetzt bist.“

 


Die Spinne ist weg, der Hai ist mausetot.


 

Wenn Autos eine Seele haben (und das ist natürlich so), dann ist das Licht dieses einst wundervollen Exemplars vor langer Zeit erloschen. Der von den Fans liebevoll genannte „Shark“ aus Zuffenhausen ist all seiner Zähne beraubt. Kiemen in Form von Spaltmaßen sind dort, wo sie nicht hingehören. Blinde Scheinwerfer dokumentieren den Exitus nachdrücklich. Er ist klinisch mausetot. Da hilft auch kein Zahnriemen mehr. Überhaupt finden sich höchstens zwei Drittel aller Aggregate und Anbauteile über der Vorderachse des Front-Mittelmotors ein. Nanu, die achtbeinige Ansaugspinne ist wo? Vielleicht weggekrabbelt, es wäre verständlich. Die Garage schimmert im fahlen Licht, Teile liegen im Dreck. Der Geruch ist irgendwo zwischen altem Zement, ranzigen Schmierstoffen und über Jahre kultiviertem Schimmel zu verorten. Auf dem Boden Altöl aus Porsches Bauch. Mittendrin, wie eine Birne geformt, der Zahnriemen im Meer aus schwarzer Suppe. Ich will nach Hause und nie, nie wieder auf ungesehene Autos bieten.

 


Jetzt wird abgerechnet


 

Wir ziehen uns ganz professionell zur Beratung zurück und einigen uns wild gestikulierend, aber sehr wohlwollend auf die Zustandsnote Fünf-Minus, was laut Definition bedeutet: restaurationsbedürftiger Zustand. Nicht fahrbereit. Schlecht restauriert bzw. zum Teil- oder komplett zerlegt. Größere Investitionen nötig. Fehlende Teile.

Jörg in seiner stark reduzierten und hocheffizienten Redeweise: „Den willst du nicht kaufen.“ Clemens: „Genau.“ Ich: „Ja aber… Habt ihr die Brechmänner gesehen? Die sind viel stärker als wir.“ Clemens: „Außerdem haben die Kumpel.“ Wie auf Bestellung gesellt sich ein dritter Brechmann zu Luzifers Brut, den ich optisch sofort mit Godzilla (aus der japanischen Originalfassung) in Einklang bringe. Jörg: „Richtig.“ Ich sage: „Ja, aber rein rechtlich habe ich ihn bereits gekauft, wir brauchen eine Lösung.“ Jörg: „Ach.“

Wieder zurück im sozialen Brennpunkt vor der Nachbargarage Nummer 13 (und es ist Freitag). Mittlerweile ohne jegliche farbige Lesehilfe auf der Nase nehme ich allen Mut zusammen, sage hochschauend zu King: „Wissen Sie, nun ja, der Wagen ist nicht so gut wie beschrieben.“ Keine Knöchel knacken. Krisenmanagement und Deeskalationstaktik aus dem Lehrbuch für den angewandten Klassikerkauf. Ich werde verhalten mutiger: „Eigentlich nicht mal ansatzweise.“ „King“, wie durch ein Wunder in kurzen, aber recht ordentlich formulierten Sätzen: „Ist uns auch schon aufgefallen. Gehört `nem Kumpel, der uns noch Kohle schuldet. Der hat den viel besser beschrieben. Was hältst du von 500 Euro?“ Ich schaue mir den Wagen an, suche ein Teil, welches man gebrauchen könnte. Finde keins, sage: „Nein.“ Er: „Okay.“ Ein Wunder, des Teufels drei Gehilfen sind total kulante Burschen. Als wir mit leerem Anhänger die unheilige Stätte verlassen sagt Kumpel Clemens: „Cool, mit denen kann man super Geschäfte machen.“

 

 

Text: Arndt Hovestadt    Fotos: Katrin Schießl, Marcel Färber

 

 

 

Hier gibt es das Porsche 928-Shooting von Marcel Färber zu sehen.

 

Wenn ein Porsche 928 alle Motorteile am rechten Fleck hat, klingt er übrigens so:

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