quattro
Vorsprung durch Technik? Dieser seit 1971 bestehende Audi-Slogan ist erst richtig glaubhaft, seit die vier Ringe auch für vier angetriebene Räder stehen. Diese Geschichte begann 1977, und zwar zunächst einmal mit einen Schlag ins Gesicht der Entwickler: Ein kleiner VW Iltis, der für die Bundeswehr hergestellte und in Kleinserie auch für zivile Zwecke hergestellte Geländewagen aus dem VW-Konzern, führte diesen Schlag aus. Präzise. Denn der bei Audi in Ingolstadt produzierte und im Fachjargon liebevoll genannte LKW 0,5 t tmil gl hängte eine gesamte Audi-Versuchswagen-Flotte bei Testfahrten in Skandinavien ab. Immer wieder und mit halb soviel Leistung wie die Testwagen, jedoch ausgestattet mit einem durchdachten Allradantrieb. Dies berichtete Versuchsleiter Jörg Bensinger nach seiner Rückkehr aus den eiskalten Bedingungen dem Vorstand der Fahrzeugentwicklung bei Audi. Sein Name: Ferdinand Piëch.
Von der Reservelinie in die Köpfe der Konzernlenker.
Die Entscheidung, einen Prototyp auf Audi 80-Basis zu entwickeln, fällte der spätere Konzernpatriarch ebenso eiskalt noch im selben Monat. Ohne Rückendeckung der Volkswagen AG und praktisch ohne Budget. Bensinger und sein kleines Team war ohnehin nicht davon abzuhalten, weiterzumachen. Sie kombinierten die Allrad-Elemente des Iltis mit dem fortschrittlichen Fahrwerk des Audi. 1978 war das Auto so weit, dass es dem Audi-Vorstand präsentiert werden konnte. Schauplatz der Präsentation: eine verschneite Steigung in Österreich, auf der Serienfahrzeuge mit Winterreifen und Schneeketten getestet werden sollten. Diese mühten sich mehr oder weniger mit den Bedingungen ab, drifteten seitwärts von der Linie ab, schafften die Steigung halb oder gar nicht aufgrund ihrer durchdrehenden Räder. Der als Serienfahrzeug getarnte Audi 80 stand zunächst unbeteiligt an der Reservelinie. Als der Testfahrer den Motor startete und laut vernehmliches Fünfzylinder-Röcheln mit der Zündfolge 1-2-4-5-3 aus der sonst eher biederen Mittelklasse-Limousine zu vernehmen war, hoben sich die Köpfe.
Der Vorstand gewährte dem Projektauto seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Fahrer beschleunigte die 160 PS, als würde er auf Asphalt fahren, nahm als einziges Testfahrzeug die Steigung geradeaus und ohne jegliche Mühe. Auf Sommerreifen. Der Vorstand hatte das berechtigte Gefühl, dass dieser Tag die Zukunft von Audi verändern würde. Allerdings gab es noch immer kein offizielles grünes Licht für die Entwicklung, jedenfalls nicht ohne das Einverständnis der Wolfsburger Konzernlenker. Und dazu musste das Konzept zu 100% überzeugen. Unter dem Radar wurde das Konzept also immer noch ohne großes Budget weiter verfolgt. Mit nur einem einzigen Testwagen, der in der Zwischenzeit nicht nur das später folgende Facelift des Audi 80 B2 trug, sondern auch motorseitig erstarkte. Nur die Freigabe für die Entwicklung und ein Budget fehlte noch immer.
Zwar hatten die „Audianer“ dem VW-Technikvorstand Ernst Fiala kurzerhand das Auto zum Testen nach Wien gebracht (wo dessen Gemahlin damit zum Shoppen in die Innenstadt fuhr und sich über den „verspannten Antrieb“ mit den Differenzialsperren in einem engen Parkhaus wunderte), Fiala überzeugte das Konzept jedoch sofort. Nur für das endgültige „go“ fehlte noch ein großer Name, und zwar der wichtigste: Toni Schmücker, intern auch gerne „Trickser Toni“ genannt. Dieser war seit Februar 1975 als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG angetreten und mit nicht weniger als der Rettung des Konzerns beauftragt.
Tricks und Kniffe.
Rudolf Leidig als sein Vorgänger hatte bereits begonnen, diverse Fehlentscheidungen ehemaliger Vorstände zu beheben, indem er Topseller wie den Passat, den Golf und den Polo auf den Markt brachte – sowie erfolglose Modelle wie den VW 411/412 und den K 70 abgesetzte. Auf einer Entwicklungstagung 1979 war es soweit, nur leider fehlte Ende März Schnee, um die Überlegenheit des Antriebs zu demonstrieren. Für Ferdinand Piëch waren das jedoch Kleinigkeiten. Schließlich hatte 10 Jahre vorher auch niemand daran geglaubt, dass Porsche einmal souverän LeMans gewinnen würde oder dass Audi mit dem Fünfzylinder Motor in die Automobile Oberklasse aufsteigen würde, beides Werke von Piëch. Kurzerhand ließ er einen Hügel in Ingolstadt nahe des Werksgeländes so lange von der Werksfeuerwehr wässern, bis dieser zur Rutschbahn wurde, und ließ Schmücker ans Lenkrad des Testfahrzeuges, natürlich nachdem dieser die Konkurrenz-Fahrzeuge aus München und Stuttgart ausprobiert hatte. „Trickser Toni“ war so beeindruckt, dass er ohne weiteren Zeitverzug grünes Licht für die Entwicklung des Allradantriebs für die Serie gab, in der gelungenen Verpackung eines Sportcoupés.
Vermutlich haben an diesem Abend in Ingolstadt die Korken geknallt. Die Zeit kam, das Konzeptauto einem ausgewähltem Publikum aus Motorpresse-Redakteuren vorzustellen. Im Frühjahr 1979 wiederholte sich das Schauspiel aus dem Vorjahr und erneut fand es in Österreich auf Schnee statt. Während front- und heckgetriebene Autos aus aktuellen Modellpaletten der Konkurrenz und aus dem eigenen Hause an einer schneebedeckten Steigung mit Mühe maximal 150 Meter auf Winterreifen weit kamen, pflügte der Testwagen im Audi 80- Kleid so schnell den Hügel hinauf, dass Tester Paul Frère das Gas zurücknehmen musste. Wieder mit Sommerreifen. Nach dem Aufziehen von Winterreifen war es sogar möglich, auf einer 28 prozentigen Steigung anzuhalten und wieder loszufahren. Ein anwesender Reporter frotzelte, der Antrieb sei so gut, dass ein Auto damit eine Ski-Schanze hinauffahren könne.
Es folgte eine der besten Ideen in der Geschichte der Automobilwerbung.
Eine Idee, die nicht viel später in einem der spektakulärsten Werbespots der Automobilgeschichte in die Tat umgesetzt wurde. Der Rallyefahrer Harald Demuth fuhr aus eigener Kraft die schneebedeckte Skisprungschanze Pitkävuori in Finnland hinauf. Mit einer Steigung von 80 %. Dazu reichte im Übrigen eine Limousine des Typs Audi 100 mit dem bewährten Allradantrieb. Es war nicht einmal nötig, das leichtere Coupé dafür zu verwenden. Ein Raunen ging durch die Presse und die Fahrzeugentwickler-Szene. Im März 1980 wurde das Serienfahrzeug auf dem Genfer Auto-Salon der Weltöffentlichkeit präsentiert. Sein Name: Audi quattro mit kleinem „q“. Von der Fachpresse wurde das Fahrzeug weltweit unter Verwendung zahlreicher Superlative als das gefeiert, was es war: eine echte Sensation. Audi war der erste Hersteller, der einen Sportwagen mit der Antriebstechnik ausstattete, die bis dato behäbigen Geländewagen vorbehalten war. Und das in einer Verpackung, die konsequenter nicht hätte sein können, denn das Auto sparte an Rundungen, könnte man sagen.
Die Anmutung des auf Audi Coupé-Basis und mit ausgestellten Kotflügeln nebst cooler Rücklichter-Leiste gebauten Statements war jedenfalls einzigartig. Sie basierte in der Grundstruktur auf dem 1972 eingeführten und Nebensächlichkeiten wie Aerodynamik weitgehend ignorierenden Audi 80 B1, mit dem Design von Helmut Warkuss, basierend auf dem ersten VW Passat. Ja, wirklich. Dieser eckige, mittlerweile als B2-Version verwendete Audi 80 hatte schon das Versuchsfahrzeug gestellt – und war designtechnisch Anfang der Achtziger etwas angestaubt. Im Gegensatz zu den Schöpfern des quattro.
Der überaus mutige Projektleiter und Namensgeber des quattro sollte in den folgenden Jahren noch das eine oder andere Mal auffällig werden. Zum Beispiel durch Sonderfahrzeuge wie den Audi „Hunter“ und eigene Kreationen wie den „TR1“ auf Audi Basis. Sein Name: Walter Treser. Er war es auch, der in letzter Minute verhindert hatte, dass der aufkommende Star den reichlich lahm wirkenden Namen „Carat“ tragen musste, gedacht als sinnfreie Abkürzungsverlängerung für „Coupé-All-Rad-Antrieb-Turbo“. Für das Neckarsulmer Unternehmen änderte das Engagement mit dem quattro einiges: Schließlich war die Marke bis dato eher für zuverlässige Beliebigkeit bei Optik und Technik bekannt, als für Performance. Nun war das vorbei, denn aus dem Hersteller biederer Autos für den Mittelstand wurde praktisch über Nacht ein Technik-Vorreiter mit einem hohen Anspruch an Design, Leistung und Markenversprechen. Mit einem Motor, der genauso klingt, wie das Auto aussieht. Nämlich einfach frech.
Dabei hatte eigentlich niemand damit gerechnet, dass ein Audi so sportlich werden könnte. Auch Audi nicht. Andernfalls hätten die Ingenieure vermutlich versucht, das Triebwerk etwas weiter hinten im Fahrzeug zu platzieren, um die merklich untersteuernd wirkende Kopflastigkeit zu reduzieren, denn es befindet sich tatsächlich zum größten Teil vor der Vorderachse. Zu spät. So gehörte auch der aufkommende Star in die (lange) Reihe der Fahrzeuge, die bei der Gewichtsverteilung eigentlich nicht optimal konfiguriert – und die in ihrer Zeit trotzdem überlegen waren.
Vorsprung durch Technik.
Audi jedenfalls war auf unterschiedlichen Ebenen unter Zugzwang und musste reagieren, um den neuen Anspruch selbstbewusst zu positionieren. Nichts lag näher, als dies im Motorsport zu tun. „Vorsprung durch Technik“ war plötzlich ein glaubhafter Slogan, der die Überlegenheit erfolgreich in die Werbesprache übersetzte. Audi Sport wurde aus der Taufe gehoben.
Es war so weit: Auf den Rallye-Strecken dieser Welt konnte das Fahrzeug vor einem Millionenpublikum endlich zeigen, was wirklich möglich war. Es galt unter anderem, ein Team zu schlagen, das 1980 auf einem FIAT 131 Abarth und 1982 auf dem Opel Ascona 400 souverän Rallye-Weltmeister wurde – und welches später untrennbar mit dem Audi identifiziert werden sollte. Ihre Namen: Walter Röhrl und Christian Geistdörfer. 1983 war es erstmals soweit: Hannu Mikkola wurde mit dem Audi Quattro Rallye-Weltmeister, 1984 folgte Stig Blomqvist. Audi und das Röhrl-Team fanden zueinander. Endlich, wie viele fanden. Die Bayern fuhren die Saison 1985 für das Werk und wurden Vize-Weltmeister. Audi war im Olymp angekommen und der quattro war das Zugpferd. Heute würde man zu dem Technik- und Designstatement „Halo-car“ sagen, dessen Schein auf die gesamte Modellpalette fällt und ziemlich hell auch die biederste Ecke ausleuchtet.
Unter fünf Sekunden von null auf hundert. Auf Schotter.
Die Gruppe-B kam in den Motorsport und alles wurde ein bisschen extrem. Autos wie der Austin Metro oder der Peugeot 205 Turbo 16 verpackten auf minimalem Radstand maximale Leistung und – natürlich – Allrad. Diese Kraftzwerg-Projektile waren aber eigentlich nicht mehr so richtig beherrschbar. Auch der quattro musste als Wettbewerbsfahrzeug radikaler werden. Um das Arbeitsgerät für die Rallyepisten wieder konkurrenzfähiger zu machen, wurde der Radstand zum Jahr 1983 um ganze 32 Zentimeter gekürzt, das Fahrverhalten glich dem Ritt auf der Kanonenkugel. Und zwar in einer Kurve auf rutschigem Untergrund. Auch fürs gemeine Volk war etwas Extremes dabei.
Etwa zweihundert mutige Käufer sicherten sich eines der raren Straßen-Homologationsexemplare für den Schnäppchenpreis von etwa 200.000 DM, verteilt auf 4,16 Meter und sagen wir mal etwas exaltiert wirkender Optik. Sein Name: Sport quattro: Dabei war der Namenszusatz „Sport“ stark untertrieben, denn Sport konnte er ja schon vorher. Jetzt war eher ein bisschen Wahnsinn angesagt, vielleicht hätte „crazy-quattro“ besser gepasst. Ganz nebenbei war der „Kurze“ auch der erste Audi, der unter fünf Sekunden auf 100 Km/h brauchte. Auf Schotter. Zurück zur Gruppe B: Mit gewaltigen Motorleistungen um 500 PS flogen die Rallye-Fahrzeuge buchstäblich an den Köpfen der Zuschauer vorbei. Manchmal ging das nicht gut.
Es wurde 1986 Zeit, die Gruppe-B zu beenden. Gesund für Fahrer und Publikum, schade für den quattro, dessen zwangsbeatmetes 2,1 Liter Aggregat sich problemlos auf 600 PS und mehr optimieren ließ. Bei ungewöhnlich hoher Zuverlässigkeit. Der mit mega-Flügeln bestückte quattro S1 mit der Optik von wahllos verbauten Legosteinen sah als letzte Ausbaustufe nicht nur animalisch aus, er war es auch. Wer einmal den röchelnden, schreienden Fünfzylindersound eines S1 gehört hat, vergisst dieses Geräusch nie wieder. Auch die vielen Zuschauer an den Rallyestrecken nicht, denn die Popularität der Serie hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die gefährliche Ära der Rallye-Monster endete also, der Technik Vorreiter war aber noch nicht fertig. Mittlerweile prangte das quattro Label auf unterschiedlichen Karosserie-Varianten des Herstellers – und ist bis heute Synonym für Performance.
Der Pikes Peak und Röhrl als Krönung.
1983 wurde die quattro GmbH gegründet, um sich vom Veredler zur eigenständigen Performance-Abteilung des Werks zu entwickeln. Und um Wegbereiter für die aufkommenden RS-Modelle bis heute zu werden. Aber auch sportlich ging noch einiges: Michele Mouton und Bobby Unser trieben das Monster 1985 und 1986 beim Pikes Peak in Bestzeit die Kultstrecke in den Rocky Mountains hinauf. Und Walter Röhrl fuhr mit einer maximal modifizieren Version des Sport quattro S1 1987 schließlich den dritten Sieg in Folge beim „Race of the Clouds“ ein. Dieser Mann passte einfach in das Auto, aber nicht jeder Copilot heißt Geistdörfer. Als Röhrl einmal einen gestandenen Redakteur und Hobby-Rennfahrer auf einer Rallyestrecke pilotierte, war sich dieser sicher, dass das Bremsen vor einer als Hindernis auftauchenden Baumreihe physikalisch nicht mehr möglich war. Er rechnete mit dem sicheren Aufprall, trotz des großartigen Fahrers. Doch dieser wollte gar nicht bremsen, er stellte bei etwa 200 km/h das Auto quer, passierte das Hindernis zentimetergenau, ruhig, mit gewohnter Präzision – und schaltete hoch.
Natürlich wurde Walter Röhrl Markenbotschafter für die vier Ringe aus Ingolstadt. Und er mag diese Autos wirklich. Der Ausnahme-Rallyefahrer schenkte sich daher selbst, wohlverdient und völlig zurecht, einen Audi quattro 20V Ende der achtziger Jahre. Ja genau, den alpinweißen quattro in diesem Beitrag. Spätestens damit gehört dieses eine von insgesamt 11.452 gebauten Exemplaren in die Reihe ganz besonderer Fahrzeuge. Zumal es sich um eines der extrem raren 20V-Modelle mit 220 PS handelt, von dem nicht einmal 900 Stück hergestellt wurden. Und genauso besonders fühlt sich das auch an, wenn man vor ihm steht. Heute steht der Ur-quattro bei Theo Wellmann, einem Freund von Röhrl, praktisch in unserer erweiterten Oktaneum-Nachbarschaft. Wie es dazu kam und was das Auto im Detail ausmacht, das fragen wir Theo und seinen Sohn Christoph im „quattro, Teil II“.
Unser besonderer Dank gilt Walter Röhrl, der diesen Beitrag persönlich geprüft und freigegeben hat.
Text: Arndt Hovestadt, Fotos: Stefan Lindloff, Oldtimer Markt