Oh. Mein. Gott.
Du sitzt völlig unvernetzt in einem alten Auto. Du bist eingestiegen und kein integriertes Navigations- und Kommunikationsgerät hat dir beim Hochfahren des Systems mitgeteilt, wohin du vermutlich gerade fahren willst und wie lange es exakt dauern wird.
Nix Big-Data, das einzige Medium zur Außenwelt, ein analoges Radio von 1974, kann außer dem Spielen von Musik rein gar nichts. Vor allem nicht deine persönlichen Kaufgewohnheiten über den Fahrzeughersteller an meistbietende Informations- und Konsumgüterkonzerne übermitteln. Da kann man sich förmlich vorstellen, wie der zuständige Abteilungsleiter von google bei amazon anruft und nach einer unbefriedigenden Antwort unmittelbar und kräftig seine Hand auf einen roten (analogen) Alarmknopf knallt, weil gerade kein Mensch weiß, wo du bist, was du tust und warum. Du bist weg und sitzt in einem Oldtimer, einer der so ziemlich letzten Möglichkeiten, dieser digitalen Zivilisation zu entfliehen.
Dieses Auto hat nämlich nur dann WLAN, wenn es mitten in einem steht. Und es bekommt davon verdammt noch mal ü-ber-haupt nichts mit.
Das einzige, was ,,Radar“ macht, ist nicht der Abstand-Tempomat, sondern das Geräusch der Lüftung auf Stufe zwei.
Du musstest die Tür eben selbst aufschließen, persönlich! Du hast das Gefühl, dass AM/FM Radio, Licht und Blinker die einzige Elektronik an Bord sind. Warum? Weil das absolut korrekt ist. Du bist Fahrer und Assistenzsystem in Personalunion. Eine schwere Bürde, denn das bedeutet, dass dein Fuß auf längeren Fahrten in einem ähnlichen Winkel auf dem Gaspedal ruhen können muss. Ist aber machbar. Dein Totwinkelassistent ist in deinen Körper integriert und technisch durch den maximalen Drehwinkel der oberen Wirbelsäule mit dem Schädel begrenzt. Du bist also persönlich dafür verantwortlich, niemanden zu übersehen. Das einzige, was „Radar“ macht, ist nicht der Abstand-Tempomat, sondern das Geräusch der Lüftung auf Stufe zwei. Klimaanlage? Sicher, einfach die Drehfenster in den vorderen Türen drehen, deshalb heißen die ja so!
Die prozentuale Wahrscheinlichkeit, dass du persönlich schalten musst, war ja ebenfalls recht hoch, dazu dient das linke von drei Pedalen auf der linken Seite fahrerseitig und der dünne Knüppel rechts von dir. Deine Servolenkung besteht nicht aus einer plumpen Pumpe unten im Motorraum, verbunden mit Schläuchen und Stangen. Nein, deine Servolenkung besteht aus deinem Bizeps, deinem Trizeps und dem praktisch seit Jahren unbenutzten Deltamuskel. Du drehst den Schlüssel im Zündschloss herum (wie abgefahren…), der Anlasser startet den Motor mit einem Geräusch, als würde ein U-Boot-Mechaniker einen 34er Ringschlüssel in das offen verzahnte Getriebe des Schiffsdiesels werfen.
Und es fühlt sich gut an! Sound und Volumen des Motors übertreffen das typische Aggregat eines Mittelklasse-Fahrzeugs drei bis vier mal mal. „Upsizing“ nennt man das. Du fühlst die Vibrationen des Motors physisch, denn die einzigen beiden Ausgleichswellen sind deine Arme. Das ganze Auto bewegt sich beim Gas geben. Es lebt! Kein ASR, ESP oder PSCABKLLM lenkt von dem ab, was du ganz persönlich kannst. Oder eben nicht kannst. Du fährst vorsichtig los und bemerkst, dass du seit langer Zeit keine so direkte Verbindung mehr mit einem Fahrzeug hattest. Der Motor klingt fantastisch, irgendwie rau und mechanisch. Du musst überhaupt nicht schnell fahren, um die Dynamik zu spüren.
,,Öltank Bottled“, der coole Duft für Frauen und Männer.
Dein persönlicher, dir angeborener Bremsassistent rät dir ganz einfach zu mehr Abstand. Und du merkst, dass das wunderbar funktioniert. So hast du Zeit, die Silhouette des Klassikers zu betrachten, der sich in den Schaufenstern spiegelt. Eine schöne Form, charakteristisch und ja, definitiv eigenständig. Du riechst Patina, Kunststoff, Leder, Gummi, heisses Öl und den Duft von nicht verbranntem Benzin. Und es riecht verdammt gut.
Wäre als Parfum und Eau de Toilette ein Renner. „Öltank Bottled“ – der coole Duft für Frauen und Männer.
An der letzten Ampel stand neben dir ein SUV mit einem gehetzt dreinblickenden Mann am halbautonomen Steuer, der nachdenklich deine Karre anstarrte, bevor er auf dem Zentraldisplay seines Zweikommafünftonners herumtippte. Vielleicht fand er es unbefriedigend zu wissen, dass sein Blechtempel vor der Ampelphase einfach mehr wert war, als er danach sein würde. Oder er schaute nach, wie lange er noch für seine Fahrt braucht. Dir ist das egal, denn du willst ja im Grunde gar nicht ankommen.
Plötzlich undevot.
Du verlässt die Stadt und denkst, dass dein Fahrgefühl mit diesem Klassiker eine Eigenschaft besonders deutlich herauskehrt. Dass es verdammt noch mal nicht perfekt ist und du im Einklang mit der Maschine fahren musst, um die Verbindung zu spüren. Dass sich Kurven gut anfühlen. Runterschalten, anbremsen, rausbeschleunigen. Irgendwie fühlst du dich plötzlich undevot. Und du weisst, du liebst es.
Weil du Teil des Autos bist und nicht nur der Fahrer. Weil dein Auto dir nicht sagt „herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag, sie haben seit der letzen Messung 500 Gramm Körpergewicht zugenommen, sie haben Ihr Mindestlimit von 10.000 Schritten heute um 8.632 Schritte verfehlt, Achtung, Falschfahrer in 412 Kilometern voraus, möchten sie die Black-Friday-Technik-Angebote vorgelesen bekommen …“
All das kann dieser Klassiker nicht. Dafür aber ganz andere Sachen. Gut aussehen zum Beispiel. Deshalb kann man ihn optisch sogar von anderen Autos unterschieden. Er kann so richtig geil klingen. Toll riechen. Er ist der komplette Gegenentwurf zum „Connected Car“, auf das wir noch vor kurzem so stolz gewesen sind und was plötzlich irgendwie unsexy erscheint. Denn dieses Teil ist vollkommen unvernetzt.
Text: Arndt Hovestadt Foto: Sara Dabaghian