Klang:Farbe
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Klang:Farbe

 

Du näherst dich dem BMW der Baureihe E30 aus den achtziger Jahren. Kein M3 oder Alpina, sondern ein ursprünglich uni-weißer Dreier ohne Klimbim. Keine Colorverglasung, keine Nebelscheinwerfer oder Spoilerwerk, nur der Epoche entsprechender Chrom-Zierrat um die Fenster und den Kühlergrill. Ein eigentlich unschuldig wirkendes Auto, das vermutlich von jemandem als Neuwagen bestellt wurde, der nicht unbedingt auffallen wollte. Vielleicht ein Musiklehrer, der zwar auf Ausstattung verzichten konnte, nicht aber auf die Klangfarben des legendären Reihensechers unter der Motorhaube. Denn sechs Töpfe sind in Reihe geschaltet an Bord. Und das mit der Unauffälligkeit, das ist jetzt auch vorbei.

 


 

Dein erster Eindruck ist nämlich: Ist ja nicht gerade unauffällig, der weiße Lack, kombiniert mit den BMW-Motorsport-Farben Hellblau Dunkelblau und Rot, die sich in einem breiten Streifen lackiert quer über die gesamte Karosserie ziehen. Tief hockt der Wagen über der Fahrbahn, ja und breit ist er bereift. Durch die oben beschnitten aussehenden, runden Scheinwerfer sieht er schon etwas böse aus. Als Dekorationselement in einem Piano-Haus, oder abgestellt auf einem Lehrerparkplatz wäre das Fahrgerät heutzutage wohl eher ungeeignet. Ja, der heutige Auftritt ist dafür ohne Zweifel zu laut, obwohl die Form durch beinahe gänzlich fehlende Rundungen auf jeden Fall zeitlos ist. Zumindest wäre es für die Ingenieure von Lego-Technik vermutlich nicht so schwierig, das Auto als Modell auf die Räder zu stellen.

 

Die anthrazitfarbenen Felgen fallen auf und passen sehr gut zu allen vier Farben des Autos. Sie sehen filigran aus und stammen eindeutig aus dem Motorsport. Auf den leichten und periodisch korrekten Fünfzehnzöllern sitzen fette Semi-Slicks. Eher Slick als Semi, denn das Profil hat gefühlt eher eine Alibi-Funktion und reduziert sich auf ein paar scheinbar wahllos hineingeschnitzte Rillen. Der Rest der Lauffläche ist sozusagen voll ausgefüllt und liegt im Gegensatz zu normalen Reifen in gesamter Breite auf. Das klebt bestimmt gut, wenn der Pneu einmal auf Temperatur ist. Auf nasser Fahrbahn dafür wohl eher nicht so gut. Beim Betrachten der Lauffläche wird klar: Dieser Reifen hat schon mal über die normale Betriebstemperatur hinaus abliefern müssen. Beim Versuch, ein Gummistück, dass mit der Lauffläche verklebt ist, abzuziehen, wird klar, dass das nichts wird. Das Stück klebt nicht einfach nur, es ist vulkanisiert. Was bedeutet: Dieses Auto hat Rennstrecke gesehen. 

 


Schraubstock im Leichtbau


 

 

Während du das zierliche Auto umkreist, fallen dir Besonderheiten auf: Die Motorhaube und der Kofferraumdeckel sind mit simplen Schnellverschlüssen aus dem Motorsport-Regal versehen. Das Auto ist innen nackt. Wirklich nackt. Dass ein Teppich fehlt, war keine Überraschung, aber die hintere Sitzanlage, der Dachhimmel, die Dämmung und sogar die Tür- und Seitenverkleidungen mussten sich ebenfalls der Gewichtszensur beugen. Letztere im Austausch gegen leichte (und natürlich unlackierte) Alu-Tafeln, mit Schlaufen zum Zuziehen. Ein strahlend weisser Überroll-Käfig, passend zur Außenfarbe des BMW, ist im gesamten Innenraum verschraubt. Die (ziemlich leichte) Tür ist nun offen. Rennschalen-Sitze, breite 3-Zoll-Hosenträger-Gurte und das coole, der Form einer Salatschüssel nicht unähnliche Lenkrad fallen direkt ins Auge. Ein paar Riffelbleche hier und da, Besichtigung abgeschlossen, mehr gibt es in dem Auto nicht. Kein Komfort, kein Luxus. Schon in den neunziger Jahren wurde das Auto für Bergrennen aufgebaut und leergeräumt. Lediglich 1.000 Kilogramm soll der E30 wiegen, unglaublich wenig also.

 

Und das hilft in allen Lebenslagen. Späteres Bremsen und höhere Geschwindigkeiten in Kurven sind meist die Folgen. Außerdem fährt man schneller aus der Kurve heraus, als das mit höherem Gewicht oder seriennahen Reifen möglich wäre. Hinter dem Auto stehend fällt auf: der BMW besitzt ein H-Kennzeichen und ist damit ganz offiziell historisches Kulturgut. Nicht nur in Bayern. Und es heißt auch, dass alle Umbauten am Fahrzeug eingetragen sind und selbiges damit relativ einzigartig sein dürfte.

 

Sitzprobe: Du fädelst dich ins Auto über einen im Weg stehenden Querbügel, das nennt man dann wohl aktiven Seitenaufprallschutz. Ein Glück schaut gerade niemand zu, denn elegant einsteigen geht anders. Wow, die Sparco-Rennschalensitze haben Schraubstock Qualität, spätestens nach dem „antackern“ über die breiten Gurte mit dem zentralen Verschluss bis du dermaßen fixiert, dass du dich gefühlt überhaupt nicht mehr bewegen kannst. Musst du ja auch nicht, denn die einzigen Körperteile, die sich beim Fahren bewegen sollen, sind Hände und Unterarme, Füße und Knöchel. Und die sind frei. Das fühlt sich gut an, und man wird „Eins“ mit dem Auto.

 

 

 

 

Die Sitzposition ist gut, man sitzt recht tief. Das ist super fürs Gefühl und natürlich auch für den tiefstmöglichen Schwerpunkt. Die Hände liegen jeweils auf 9 und 3-Uhr-Position, der Abstand ist optimal zum Lenken. Da der Motor noch nicht läuft, wird das aber schwierig. Doch halt, Moment mal. Der BMW ist ja komplett ohne Fahrhilfen unterwegs, hat also nicht nur kein ABS, sondern auch keine Servolenkung.
Beim Versuch, im Stand zu lenken, wird schnell klar: Das ist harte Arbeit, solange das Auto nicht wenigstens etwas in Bewegung ist. Die Distanz vom am Lenkrad liegenden rechten Arm zum schwarz eloxierten Rennsport-Shifter liegt gefühlt nahe null. Beim Probe-Schalten bist du das erste Mal wirklich beeindruckt. Die Gänge sind trotz des langen Hebels mit ultrakurzen Wegen ausgestattet. Der Shifter rastet jeweils in den Fahrstufen so hör- und fühlbar ein, als würde man ein großkalibriges Jagdgewehr laden. Es ist fast so, als würde das Getriebe dem Fahrer akustisch und haptisch mitteilen: „Jawohl, dieser Gang ist drin, geladen und gesichert.“

 

Der Zündschlüssel steckt, sogar dessen Anhänger folgt dem Leichtbau-Prinzip. Wenn ein Duftbaum am Rückspiegel hängen würde, wäre vermutlich auch der voll von Löchern zur Gewichtsreduktion. Nun hindert dich nichts mehr daran, den über 40 Jahre alten Klassiker auszuprobieren. Du drehst den Zündschlüssel, der Anlasser schickt die Kurbelwelle auf die Reise., gefolgt von einem heiseren Leerlauf in den Brennkammern aller sechs Zylinder. Das klingt gut, ist von der Lautstärke her durchaus pianissimo, fast unter dem Radar. Doch was ist das? Sämtliche Vibrationen und Geräusche aus dem Antriebsstrang gibt das Auto zu 100 % an dich weiter. Ach ja, die Lager von Motor und Getriebe sind starr, sogar komplett frei von jeglicher Elastizität. Das merkst du beim Gasgeben ziemlich deutlich und du fragst dich, wie sich das beim Fahren anfühlt. Also los.

 


Das Antriebskonzept zu ignorieren hilft nicht wirklich


 

Losfahren, Stopp! Erst noch kurz „die Noten lesen“: Bevor man losfährt, muss das Antriebskonzept eines jeden Fahrzeugs gedanklich sitzen. Sonst gibt es, anders als bei modernen Autos mit elektronischen Fahrhilfen, möglicherweise Überraschungen. Es ist schon unangenehm, sich über die grundsätzliche physikalische Neigung des (analogen) Arbeitsgerätes zu spät im Klaren zu sein. Spätestens dann, wenn sich die Reifen ihrer Haftungsgrenze entledigt haben.

 

Zum Beispiel ist es ja nicht ganz unwichtig zu wissen, ob die Fuhre tendenziell eher über- oder untersteuern möchte. Oder wie und an welchem Punkt über die Fahrzeuglänge gesehen man um die Hochachse fährt, wenn es dann übersteuert, was zumindest in diesem Fall durchaus erwünscht sein könnte. Bevor du losfährst, verinnerlichst du also noch mal das Antriebskonzept des BMW E30: Motor vorne, Getriebe dahinter, aber auch vorne, Antrieb hinten. Das bedeutet viel Gewicht vorne, wenig hinten. Und, so schreibt es die Fachliteratur, nennt sich das dann „Hinterradantrieb“ und nicht „Heckantrieb“. Ein Unterschied macht das freilich erst, wenn man das Gerät in Richtung Limit bewegt. Und dieser BMW möchte übersteuern, das ist klar. Dazu ist das Auto sagen wir mal durchaus zum Spielen aufgelegt und praktisch permanent im Grenzbereich, solange die Reifen nicht einigermaßen auf Betriebstemperatur sind.

 

Zeit zu fahren. Aber erst mal piano, nicht Schlagzeug. Erster Gang: Die Stimmgabel, ähm, Schaltkulisse funktioniert prinzipiell wie eine normale H-Schaltung. Den ersten Gang legst du nach links vorne ein, für den zweiten ziehst du den Hebel einfach nach hinten, doch nun passiert etwas Interessantes: Aus dem zweiten Gang heraus „klackt“ der Schalthebel in die Mittelstellung, so dass du den dritten und vierten Gang nur vor- oder zurückziehen musst. Jawohl, das macht schnell. Auch das Herunterschalten in den zweiten Gang aus dem dritten Gang oder das Schalten in den fünften Gang erledigst du mit einer minimalinvasiven Bewegung und „molto preciso“. Bald sitzt das, die ersten Kilometer verwendest du dafür, mit der Schaltung und der Lenkung eins zu werden. Obwohl Fahrer und Auto völlig friedlich sind, kommen einem für die Schaltvorgänge leicht wieder Analogien wie „laden und sichern“ in den Sinn. Einer rutschigen Flinte allerdings, denn die noch kalten Reifen fühlen sich an, wie frisch in Neutralreiniger gebadet.

 

Der Klangteppich ist „magico“ und erfreut dich permanent. Das ist nicht nur C-Dur. Die BMW Ingenieure haben über Jahrzehnte erfolgreich daran gearbeitet, alle störenden Geräusche aus dem Antrieb passagiergerecht zu eliminieren, gut gemacht! Aber nun sind sind sie wieder da. Alle Oktaven. Bitte, danke. Die starren Motor- und Getriebelager geben alles zu 100 % an dich weiter und die karge Zelle im Innenraum dient dabei als Resonanzkörper. Motor, Getriebe, Schaltung, sogar die Semi-Slicks: Alles bildet eine vielschichtige Klangkulisse, die einen großen Teil zum Fahrgefühl beiträgt. Und dieses Gefühl sagt Rennstrecke, nichts anderes.

Irgendetwas ist noch immer ungewöhnlich. Am Anfang fällt dir nicht ein, was es ist, doch plötzlich wird es klar. Das Auto ist Bocksteif, es verwindet sich kein bisschen. Das könnte daran liegen, dass vom Motorabteil über die gesamte Zelle bis in den Kofferraum einfach alles per Käfig oder Domstreben verschraubt ist.

 


Cre·scen·do: allmählich lauter werdend, im Ton anschwellend


 

Der Motor ist warm, auch die Reifen haben ihre Betriebstemperatur erreicht. Vor dir liegen ein paar gut einsehbare Kurven und du bist ganz alleine auf der Straße. Das rechte (natürlich gelochte) Pedal bewegt sich bis aufs Blech hinunter. Die wenig träge Drosselklappe nimmt das feinperlige Gemisch dermaßen bereitwillig an, als würde ein halb verdurstetes Kamel gierig den Oase-Pool leer saufen. Das hört sich auch so ähnlich an, vielleicht noch kombiniert mit einem größeren Schwarm wirklich schlecht gelaunter Hornissen, nachdem ein Abbruchunternehmen versehentlich das Hornissenstock-Penthouse samt Königin mit einer Abrissbirne weggesprengt hat. 

Das Ansauggeräusch, die Mechanik, Schaltung und die Abgasanlage bildet eine einzigartige Klangkulisse. Spätestens beim Erreichen der Höchstdrehzahl schreit dich das Teil dermaßen fortissimo an, dass du am liebsten gut gelaunt zurück brüllen möchtest. Du probierst das einfach mal und es fühlt sich gut an.

 

 

 

 


Happy hour


Anbremsen, mit Hacke-Spitze Zwischengas ausprobieren, herunterschalten (klack, klack…), noch immer gefühlt superschnell einlenken und den unnormalen Grip feiern wie eine Happy Hour in maximaler Feierlaune. Unter leichter Last auf dem Antrieb noch kurz die Kurve zerteilen und spätestens am Scheitelpunkt die Drosselklappe wieder voll aufreißen … Das Auto schreit dich wieder an oder mit dir zusammen, ganz wie du willst. Die Balance ist herrlich.

 

Die Leichtigkeit des BMW fährt in jeder Faser mit, man bremst spät, fährt schneller in die Kurve hinein und damit auch schneller hinaus. Ohne illegal oder mit viel Tempo auf der Straße unterwegs zu sein, liefert das schon unglaublich viel Spaß. Es ist leicht, im Rhythmus zu bleiben. Wer hätte gedacht, dass dieses simple Urvieh von Einfachauto im Vergleich zu potenten modernen Sportwagen so unglaublich abliefert. Grip, Brems- und auch die Beschleunigungsleistung. Alles ist zu 100% da. Bravo, bravissimo! Jetzt nur noch kurz den inneren Takt auf Schlagzeug umstellen und ´runterschalten. Los gehts.

 

Text: Arndt Hovestadt  Fotos: Marcel Färber

 

Du möchtest das selbst erleben und nicht nur lesen? Diesen BMW kann man hier mieten.

 


Der BMW E30 ist längst ein Klassiker. Die von Claus Luthe und seinem Team designte Form gehört zu den konsequentesten Automobil-Designs der frühen achtziger Jahre und gilt weithin als zeitlos. Dass sich die leichten Dreier (der 320 wiegt als sogenanntes Vorfacelift ausstattungsbereinigt 1080 kg) hervorragend für den historischen Motorsport eignen, sieht man eigentlich auf jedem Oldtimer Trackday. Modifizieren lassen sich die Autos praktisch aus dem Baukastensystem, viele Teile potenter ausgestatteter BMWs passen ohne große Änderungen. Bremsen, Fahrwerksteile und vor allem unterschiedlichste Motoren lassen den E30 zur technischen Spielwiese werden. Man kann so relativ einfach Leistung und anderweitige Performance „finden“.

 

 
Bereits in der Vergangenheit haben namhafte Veredler wie Alpina auf diese Art beeindruckende Motoren gebaut. Man nimmt den langhubigen 2,7 Liter-Motor des eigentlich aufs Sparen ausgelegten Dreiers mit dem „eta“-Kürzel, kombiniert diesen mit Teilen des 325er Aggregates, flanscht einen Fächerkrümmer dran und hat 200 standfeste PS in einem superleichten Auto.
Dazu gehört der Reihen-Sechszylinder „Jahrhundertmotor“ von BMW als Sauger zu den drehfreudigsten Triebwerken überhaupt und erfreut mit Ansprechverhalten und kernigem Sound.

 

 
Die grundsätzliche Ausrichtung der Autos ist ohnehin schon herstellerseitig auf Fahrdynamik und -Spaß ausgelegt. Motorsport-Teile wie Überrollkäfige, Fahrwerke etc. bieten viele Shops und Hersteller für den E30 an. Solange es bei Standard-Teilen wie Bremsen etc. bleibt, ist die Teileversorgung ausgezeichnet und durchgängig bezahlbar, vor allem im Vergleich zu sportlichen Fahrzeugen anderer Hersteller.

 

12. September 2023
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